Im Herbst 1998 wurde der Wahlkampf zur Delegiertenversammlung der Ärztekammer mit harten Bandagen geführt. Die Aktionsgemeinschaft Äskulap mobilisierte gegen die Fraktion Gesundheit und die KV Spitze nutzte ihr Mitteilungsblatt zu einer Diffamierungskampagne gegen die Vorstandsmittglieder der Fraktion Gesundheit. Das KV Blatt behaupteten einfach mit halbseidenen und falschen Belegen, dass vor allem Huber sich durch die Gründung der Tochtergesellschaften „MUT Gesellschaft für Gesundheit mbH“ für die Obdachlosenmedizin, „Berliner Schule GmbH“ für die ärztliche Ausbildung und „Medicus Institut für Gesundheitsförderung GmbH“ für die Prävention ein lukrative berufliche Existenz mit den finanziellen Mitteln der Ärztekammer sichern wolle. Die Vorwürfe einer persönlichen Bereicherung verbunden mit Vorurteilen gegen die gesundheitspolitische Orientierung verführen und mobilisieren irrationale Ängste wie Neid bei einer Ärzteschaft, die um finanzielle Sicherheiten kämpft. Die üble und verlogene Kampagne wirkte und bei der Wahl verlor die Fraktion Gesundheit einen Sitz an den Marburger Bund. Aber: die gemeinsame, absolute Mehrheit von MB und Fraktion Gesundheit blieb stabil. 

Die konservative „Allianz der Berliner Ärzte“, der „Berufsverband der praktischen und Allgemein-Ärzte“ und der „Marburger Bund“ bildeten eine Koalition und schickten die Fraktion Gesundheit im Januar 1999 als größte Fraktion in der Delegiertenversammlung mit allen ihren MB Mitgliedern in die Opposition. Die Fraktion Gesundheit wollte mit dem MB koalieren, Günther Jonitz zum Präsidenten zu wählen und Ellis Huber war auch bereit, sich völlig zurückzuziehen, damit ein gemeinsamer Vorstand von MB und Fraktion zustande kommt. Aber: der MB wechselte die Seite und verbündete sich mit der Allianz Berliner Ärzte, dem BPA Berlin und dem Hartmannbund und machte Elmar Wille zum Vizepräsidenten.

Im März 2013 erklärte das KV Blatt, warum das geschah. „Der Augenarzt und seine Leute wussten, dass sie in Koalition mit dem Marburger Bund den früheren Kammerpräsidenten Ellis Huber an einer erneuten Amtszeit hindern würden (KV Blatt 03.2013). Die selbstkritische und politisch offensive Medienarbeit der Ärztekammer hätte viele niedergelassene Ärzte provoziert. Huber habe das Tischtuch zwischen Kammer und KV zerschnitten. Das KV Blatt erklärt die die Entwicklung mit folgendem Zitat: „Elmar Wille: „Der Präsident hatte die Ärzteschaft gespalten. Die Krankenhausärzte waren nach seiner Gleichung für die Medizin zuständig und die Nieder gelassenen machten draußen das Geld – und das auf betrügerische Art und Weise. Das war böse. Wir waren an einem Punkt angelangt, wo nichts mehr ging. Also hatten wir über eine Strategie für eine neue Mehrheit debattiert. In der Versammlung sagte einer: Herr Wille, die Sache läuft auf Sie zu.“

Angesichts des heutigen Verhaltens der KV Spitze war die Sorge über die Selbstbedienungsmentalität von Standesfunktionären, die Huber damals geäußert hatte, ja durchaus berechtigt. Das KV Blatt erläutert jetzt weiter: „Die Sache wurde gemacht, nachdem der Marburger Bund das Signal „vernahm“, dass ihr Listenmitglied, der damalige Moabiter Krankenhausarzt Günther Jonitz, damit rechnen durfte, zum Präsidenten gewählt zu werden. Machtpolitik?“ Die Aussage ist deutlich: die KV Fundamentalisten und konservativen Ärztefunktionäre wollten den MB für ihre Interessen funktionalisieren und das gelang. Der MB ging mit der Liste Allianz, in der mit Burkhard Bratzke als Delegierter auch die heutige KV Spitze repräsentiert ist, und nicht mit der Fraktion Gesundheit zusammen. Irrationale Feindschaft und zynische Machtpolitik gegenüber der Fraktion Gesundheit waren nun Stil und Praxis des Kammervorstandes geworden.

Bis heute gäbe es eine stabile Mehrheit von MB und Fraktion Gesundheit in der Delegiertenversammlung und damit auch eine Innovationskraft, die andere Gruppen überzeugen und begeistern könnte. Die Wahlen endeten 2006 mit 14 Sitzen für die FG und 10 für den MB, also mit 24 von 45 Sitzen und 2010 mit 12 Sitzen für die FG und 13 für den MB, also mit 25 von 45 Sitzen. Die konservative Wende wird auch deutlich am Verhalten des NAV Virchowbundes. Der legendäre Vorsitzende Kaspar Roos (1953-1982) nahm noch 1980 mit der Fraktion Gesundheit Kontakt auf und regte an, den Gesundheitstag 1981 zeitlich unabhängig vom Deutschen Ärztetag zu organisieren, damit die Kolleginnen und Kollegen des NAV mitmachen können. Das geschah dann auch. Sein Nachfolger Erwin Hirschmann (1982-1994) arbeitete eng mit den Berliner Innovationskräften zusammen, integrierte Versorgungskonzepte und Versorgungsnetze wie das Ärztenetz Nürnberg Nord, das Gesunde Kinzigtal oder populationsbezogene Versorgungsprojekte für Berlin waren übereinstimmende Ziele wie Erfolge. Der Berliner NAV Virchowbund missachtete durch die Kooperation mit der Liste Allianz seine eigenen historischen Wurzeln. Der Spiegel berichtete in einem Spiegel Gespräch über Hubers Vision eines sozialen Wandels im deutschen Gesundheitswesen, die mit Erwin Hirschmanns sozialdemokratischen Vorstellungen weitestgehend übereinstimmten.

Die freiwillige Abhängigkeit von den standespolitischen Interessen der Berliner KV und ihrem Vorstand hat die Kammerpolitik seit 1999 gehemmt und den Interessen der Ärztinnen und Ärzte, die in Krankenhaus und Praxis für bessere Verhältnisse und Bedingungen kämpfen, nicht gedient. Die Delegierten der Fraktion Gesundheit wurden aggressiv und mit altbekannter standespolitischer Arroganz und Überheblichkeit ausgegrenzt. Günther Jonitz musste immer wieder auf seine Koalitionspartner Rücksicht nehmen. Für die Allianz Berliner Ärzte/Hartmannbund/NAV-Virchowbund hatten die Interessen der jungen Ärztinnen und Ärzte in der Weiterbildung und die Anliegen der sprechenden Medizin in der Praxis keine prioritäre Bedeutung. Wichtiger war ihnen sehr schnell die Vervierfachung der Vorstandsvergütungen.

Die Restauration der alten Kultur von Standesfürsten und die Selbstbedienungsmentalität der KV Spitze sind heute deutlich spürbar: unzumutbare Verhältnisse in der Weiterbildung, befristete Arbeitsverträge und hierarchische Abhängigkeiten, zeitliche und menschliche Überlastung in Klinik und Praxis, unbezahlte Überstunden, Arroganz der Besitzenden, Übermacht von Bürokratie, Ökonomie oder Profitinteressen. Dagegen engagiert sich die Politik der Ärztekammer heute nicht mehr so wie früher mit Mut und kreativen Aktionen, die auch das Image der Ärzteschaft in Politik und Gesellschaft verbessern. Die Dokumentation von Geldgier ist durch teure Großplakate nicht zu heilen. Das Vorbild, nicht die Propaganda wirkt und auf Dauer überzeugt die Menschen das, was sie im Alltag der Medizin erleben. Bessere Medizin braucht ein souveränes und offenes Verhältnis zum Geld und wie Albert Schweitzer es ausdrückt: Ehrfurcht vor dem Leben.

Kleine und mühsame Ergebnisse konnte die Fraktion Gesundheit in den Oppositionsjahren durchsetzen:

Den Ausschuss für Menschenrechtsfragen

Den Ombudsmann für Probleme in der Weiterbildung

Die Hinterfragung der sog. INEK-Zahlen, nach denen der Personalbedarf in den Berliner Kliniken „objektiv“ ermittelt werden soll 

Keine Gebühren mehr im Weiterbildungsbereich

Das ist wenig im Vergleich zu den Entwicklungsschritten nach der Vereinigung und bis zum Jahr 2000.

Das Programm der Fraktion Gesundheit stellt nun zusammen, wo Handlung gefordert und Aufbrüche notwendig sind. Dazu braucht die Kammer eine Innovationsmehrheit, die den Mut besitzt, alte Standeszöpfe abzuschneiden und die Kammer mit einer zukunftsfähigen Gesundheitspolitik zu positionieren. Die Zeit ist reif für ein Bündnis zwischen MB, Fraktion Gesundheit und allen den Kolleginnen und Kollegen, die ein soziales Gesundheitswesen umsetzen wollen. Es geht um die Reform der Weiterbildung, eine unabhängige Fortbildung, Medizin in Sozialer Verantwortung, menschliche Arbeitsbedingungen in Krankenhaus und Praxis, patientenorientierte Versorgungskulturen, echte Kollegialität und eine öffentliche Wirkung dergestalt, dass die Mitglieder auf ihre Ärztekammer stolz sein können, weil sie das Ansehen und die Wertschätzung für die Ärzteschaft stärkt. Unser Programm  ist auf Zukunft gerichtet und das Gegenteil von dem Bild, das der gegenwärtige KV Vorstand mit seinen Bündnispartnern im jetzigen Kammervorstand abgibt.