Unter der Führung der Fraktion Gesundheit in der Ärztekammer Berlin und in enger Kooperation mit dem Marburger Bund und den Hausärzten wurde die Ärztekammer Berlin von 1987 bis 1999 zum Wegbereiter einer ärztlichen Gesundheitspolitik, die nach innen wie nach außen neue Maßstäbe setzte und die Bedeutung der Ärztinnen und Ärzte für Berlin und ein soziales Gesundheitswesen immer wieder öffentlich bewusst machte und durch konkrete Aktivitäten untermauerte. Priorität hatten für die Kammer immer die Arbeitsbedingungen der Ärztinnen und Ärzte in der Weiterbildung, die Qualität der Weiterbildungsverhältnisse und die Interessen der jungen Kolleginnen und Kollegen.

Die Fraktion Gesundheit in der Ärztekammer Berlin konnte die Weiterbildungsbedingungen an den Berliner Kliniken Schritt für Schritt verbessern und das Klima von Angst und Abhängigkeit in den hierarchischen Strukturen durchbrechen. Die Besetzung der Weiterbildungsausschüsse mit jungen, aufgeschlossenen Kolleginnen und Kollegen wirkte befreiend und die Regularien der Weiterbildungsordnung wurden im Rahmen des Möglichen so modifiziert, dass die Bedürfnisse der betroffenen Ärztinnen und Ärzte besser zur Geltung kamen. Die Ärztekammer war bei Problemen ansprechbar und unterstützte die betroffenen Kolleginnen und Kollegen bei Schwierigkeiten und Konflikten. Die Prüfungen verliefen in einer fairen und kollegialen Atmosphäre.

Verbunden mit der assistentenfreundlichen und sachorientierten Arbeit sind Kolleginnen und Kollegen wie Udo Schagen, Andreas Grüneisen, Volker Pickerodt, Maria Birnbaum Kurt Höhfeld, Horst Kallfass, Hans-Joachim Eichinger, Wulf Martin Pankow, Antje Blankau oder Wolfram Singendonk. Die unzureichenden Verhältnisse in der ärztlichen Weiterbildung sind bis heute eine fortlaufende Baustelle. Einige Fortschritte wurden nach dem Führungswechsel in der Kammer ab 1999 leider zurückgedreht und jetzt steht erneut eine grundlegende Reform an.

Unabhängige ärztliche Fortbildung ist ein hohes Gut und eine Kernaufgabe der Ärztekammer. Das Ziel einer ärztlichen Fortbildung aus ärztlicher Verantwortung und unabhängig von den Werbeetats des Medizinisch Industriellen Komplexes hat Matthias Brockstedt beharrlich und mit couragierter Kompetenz verfolgt. Die unabhängigen Fortbildungsveranstaltungen der Ärztekammer setzten Zeichen, sprachen Themen an, die das ureigene ärztliche Interesse berühren wie „Keine Angst vor dem Wandel“  im Gesundheitssystem, „Handeln statt Schlucken“, „ Naturheiltage Berlin“ oder „Armut und Gesundheit“. Dieser, von der Ärztekammer Berlin begründete Kongress, entwickelte sich zum größten Public Health Kongress in Europa.

Mit vielfältigen Aktivitäten und Aktionen brachte die Ärztekammer Berlin die verkrusteten Strukturen im Gesundheitswesen zur Verflüssigung. Sie unterstützte ideell und materiell die Medizinstudenten während des großen „Unimut“-Streiks von 1988 und deren Kampf um eine Reform des Medizinstudiums. Dieter Scheffner, Kinderarzt und charismatischer Dekan des Virchow-Klinikums über drei Amtsperioden (von 1987 bis 1995) machte mit und ihm ist es zu verdanken, dass der Reformstudiengangan der Charité  gegen alle Widerstände 1999 schließlich verwirklicht wurde. Scheffner war ein echter Hochschullehrer, der die Studenten verstand und sich mit den gesundheitspolitischen Zielen der Ärztekammer identifizieren konnte. Das Modell einer modernen Medizinerausbildung wurde wissenschaftlich begleitet und evaluiert und von renommierten Experten glänzend begutachtet.

Mit dem Institut für Krankenhausbau an der Technischen Universität Berlin, dem Gesundheitswissenschaftler Bernhard Badura und der Journalistin Rosemarie Stein entwickelte die Ärztekammer 1988 das „Memorandum zur Gründung einer Berliner Hochschule für Gesundheit“. Dieser Impuls trug dazu bei, dass dann 1991 an der FU eine Koordinationsstelle Public Health eingerichtet wurde und der Berliner Forschungsverbund Public Health (BFPH) entstand. Daraus wurde später die Berlin School of Public Health an der Charité (BSPH). Und die Ärztekammer Berlin stiftete 1995 den Helga-Nathorff-Preis, mit dem jährlich die herausragende Abschlussarbeiten der Postgraduierten Studiengänge Public Health (PH) und Master of science in epidemiology (MSE) der Berlin School of Public Health sowie „Gesundheitsförderung und Prävention“ der FU Berlin ausgezeichnet werden .

Der Berliner Gesundheitspreis wurde erstmals 1996 vergeben. Es war ein hartes Stück Arbeit, das durchzusetzen. Dieser bundesweite Ideenwettbewerb wird vom AOK-Bundesverband, der AOK Nordost und der Ärztekammer Berlin alle zwei Jahre gemeinsam ausgeschriebener. Ziel ist es, innovative und zukunftsweisende Projekte der Gesundheitsversorgung sichtbar zu machen und zu unterstützen. Der Berliner Gesundheitspreis wurde zum Leuchtturm der Innovation im Gesundheitswesen. Das

Motto des ersten Gesundheitspreises lautete „Der Mensch ist unser Maß“. Der 1. Preis ging an den Reformstudiengang für Medizin am Virchow-Klinikum.

Die enge Zusammenarbeit zwischen der Ärztekammer und dem Landessportbund Berlin und die gute persönliche Beziehung zwischen den Präsidenten führten zur Errichtung des Sport-Gesundheitsparks in der Forckenbeckstr. 21. Der heutige Träger, der gemeinnützige Sport-Gesundheitspark Berlin e.V. wurde 1988 gegründet. Gründungsmitglieder waren unter anderem: Berliner Sportärztebund, Ärztekammer Berlin, Freie Universität Berlin und der Landessportbund Berlin. Heute ist das ein stattliches Gesundheitsunternehmen mit über 800 Gesundheitsgruppen.

Gemeinsam mit dem Landessportbund entwickelte die Ärztekammer Berlinein Qualitätsmanagement für Sportgesundheitsangebote, das zum Vorbild für die Zusammenarbeit der Bundesärztekammer mit dem DOSB, der Initiative „Sport pro Gesundheit“ und der Einbindung der Sportvereine in die ambulante Versorgung wurde. Die Ärztekammer Berlin gab den Anstoß für ein innovatives Bündnis zwischen Sport und Medizin. Besonders unterstützt wurde dies durch den Sportbeauftragten Dr. med. Folker Boldt.

Die Institution der Beauftragten für Sport, Prävention, Menschenrechte, Rettungsmedizin, Dritte Welt Medizin, Homöopathie oder Naturheilverfahren war eine Erfindung der Ärztekammer, mit der Sachverstand und Engagement einzelner Kolleginnen und Kollegen unterstützt und für die ärztliche Selbstverwaltung produktiv eingebracht wird. Auch dieses Beispiel machte Schule und wurde von der Bundesärztekammer und anderen Landesärztekammer übernommen.

Nach der Wende beteiligte sich die Ärztekammer als Gesellschafter an der Gründung des Familienplanungszentrums BALANCE (FPZ). Ulrich Pape war mit Gaby Halder für die Kammer aktiv und aus dem Umfeld des Frauenpolitischen Runden Tisches. Die beiden Trägervereine dieser wichtigen Versorgungseinrichtung für Ostberlin, der Familienplanungszentrum Berlin e.V. und Frau und Familie e.V. sind gemeinnützig, konfessionell sowie politisch unabhängig und Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband. Etwa 10.000 Berlinerinnen jährlich finden im FPZ fachkundige Hilfe. Das Projekt kommunizierte das soziale Engagement der Ärztekammer Berlin bundesweit und im europäischen Raum. Jährlich nehmen auch über 350 Schulklassen von Regelschulen, Berufsschulen und Schulen mit Förderschwerpunkten an sexualpädagogischen Gruppenveranstaltungen teil.

Das Ricam Hospiz war 1998 das erste vollstationäre Hospiz in Berlin. Krankenschwestern und dafür engagierte Ärzte kamen 1995 mit der Bitte um Unterstützung auf die Ärztekammer zu. Durch die Schirmherrschaft der Ärztekammer und die gesundheitspolitische Unterstützung des Projektes gelang die Realisierung des Hospiz über den Dächern von Neukölln.

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen junger Ärztinnen und Ärzte waren kontinuierlich Thema der Aktivitäten der Ärztekammer. Eine von der Kammer 1996 durchgeführte Umfrage zur „Arbeitszufriedenheit junger Ärztinnen und Ärzte“ erbrachte den Nachweis, dass die Arbeitsbedingungen und auch die Zukunftsaussichten erschreckend schlecht sind. Das Ergebnis führte zu einer breiten öffentlichen Debatte und der dadurch eröffnete politische Druck führte zu spürbaren Änderungen. Neuregelungen in der Berufsordnung, direkte Interventionen bei den Ausbildern und Kliniken zeigten Wirkung und wie immer reagierte die Kammer mit innovativen Konzepten. Neue Arbeitszeitmodelle wurden vorgestellt und ihre Umsetzung durch Organisationsberatung unterstützt. Eine angemessene Vergütung von Weiterbildungszeiten wurde als Norm in der Berufsordnung verankert.

Im Jahr 1996 legte die Ärztekammer ein „Programm zur Qualitätsentwicklung und Kostenminimierung im Gesundheitssystem“ vor und stellte es als „Berliner Gesundheitsreform“ zur Diskussion. Ziel dieses Konzeptes war es, die überbordende Mittelvergeudung im Versorgungssystem durch Bürokratie und unsinnige Prozesse abzubauen und durch Integrierte Versorgungskonzepte und eine neue Vertrauenskultur unter den beteiligten Akteuren eine bessere Versorgung sicherzustellen. Die Krankenkassen und der Senat von Berlin ließen sich auf einen kooperativen Entwicklungsprozess ein, der durch den Wechsel im Kammervorstand 1999 leider gestoppt wurde.

Krankenhäuser entwickeln statt abwickeln“ lautete der Slogan, mit dem 1998 die Ärztekammer auf die Ergebnisse eines Gutachtens des Berliner Senats zur Krankenhausplanung reagierte. Das Gutachten verlangte die Schließung mehrerer kompletter Krankenhäuser, die vollständige Privatisierung der städtischen Krankenhäuser und die Zusammenlegung von Abteilungen. Das war ziemlicher Blödsinn, medizinisch wie ökonomisch und die Ärztekammer reagierte mit einem fachlichen Gegengutachten. Die dadurch ausgelösten Diskurse in der Gesundheitspolitik und in der Öffentlichkeit führten dazu, dass die schlimmsten Folgen abgewehrt wurden. Es war eine neue Erfahrung für die Gesundheitspolitiker Berlins, dass sich die Ärztekammer mit fachlicher Expertise einmischte und den Sachverstand der Ärzteschaft durch professionelle öffentliche Kommunikation zur Geltung brachte.

Gesundheitspolitik statt Standespolitik“ führt verständlicherweise zu Konflikten zwischen der Ärzteschaft und der Pharmaindustrie, wenn Ärzte sich von den Interessen der Pharmakonzerne emanzipieren und eine unabhängige Kommunikationspolitik umsetzen. Umsatzziele mit Arzneimitteln sind bekanntlich nicht immer identisch mit den Gesundheitszielen der Bevölkerung. Die Ärztekammer Berlin arbeitete eng mit den unabhängigen Arzneimittelinformationsdiensten arznei-telegramm, das von Anfang an zum Netzwerk der Fraktion Gesundheit gehörte, und Der Arzneimittelbrief  zusammen. Ziel war es, den Arzneimitteleinsatz in der Versorgung auf eine medizinisch rationale Basis zu stellen und die überhöhten Kosten des Arzneimittelkonsums so abzubauen, dass für gute Medizin und sprechende Ärzte mehr Ressourcen zur Verfügung stehen.

Auf einer Pressekonferenz 1992 stellte der Vorstand der Ärztekammer Berlin die Wirkprinzipien und Gefahren des Pharmanetzes der Deutschen Ärzteschaft vor. „Handeln statt Schlucken“ lautete das plakative Motto, mit dem ein strategisches Programm für die Ärzteschaft veröffentlicht wurde. Das „Jahrbuch für Kritische Medizin 20“ dokumentierte das Konzept ausführlich. Die Pharmakritische Position der Ärztekammer Berlin sorgte immer wieder für aufklärerische Konflikte auf allen Ebenen.

Im Jahr 1995 veröffentlichte Ellis Huber persönlich (die Kammer konnte aus rechtlichen Gründen nicht als Herausgeber fungieren) eine Positivliste, die vom Pharmakologen Heinz Lüllmann aus Kiel erarbeitet worden war. Diese Positivliste machte Furore. Die Medien berichteten darüber in breiter Front. Mehrfach war das Thema ausführlich in der Tagesschau und den Tagesthemen präsent. Damals hatte Gesundheitsminister Horst Seehofer zugelassen, dass sein Staatssekretär Baldur Wagner ein geschreddertes Exemplar der staatlich erarbeiteten Positivliste in einer Klarsichthülle dem Vorsitzenden des Bundesverbandes der Pharmaindustrie, Hans-Rüdiger Vogel, als Geburtstagsgeschenk überreicht. Die Medien sahen darin den Beleg, dass die Pharmaindustrie die Politik fest im Griff hat .

Die Berliner Positivliste“ konnte die Pharmalobby nur kurze Zeit verunsichern. Dann erreichten sie bei einem bekanntermaßen pharmafreundlichen Gericht in Düsseldorf einstweilige Verfügungen gegen die Herausgabe der Positivliste. Die Begründung war besonders nett: Der Präsident einer Landesärztekammer habe kein Recht auf eine persönliche Äußerung zur Arzneimittelverordnung, da er Organ einer öffentlichen Organisation sei und diese dürfe nur aufgrund eines Gesetzes in den freien Wettbewerb eingreifen. Minister Seehofer versprach damals Pharmavertretern, dass er dafür sorgen werde, dass keine Rechtsermächtigung für Ärztekammern zur Herausgabe von Positivlisten von ihm zugelassen würde. Huber gab wegen der hohen Gerichtskosten, die er nicht tragen konnte, gegenüber der Pharmaindustrie eine öffentlich eine Unterwerfungserklärung ab. Die bereits aufgelaufenen Gerichtskosten wurden durch eine Spendensammlung aufgebracht. Und: die Verbraucherzentrale Hamburg übernahm die Berliner Positivliste und gab sie neu heraus. Die KV Schleswig-Holstein verteilte sie an alle niedergelassenen Ärzte im Land und die Geschichte insgesamt wurde in der öffentlichen Wahrnehmung zu einem positiven Signal ärztlicher Unabhängigkeit.

Von 1995 bis 1999 waren im Vorstand der Ärztekammer Berlin alle Listen der Delegiertenversammlung vertreten. Diese Integration der unterschiedlichen Positionen war fruchtbar und nicht nur ein gesundheitspolitischer, sondern auch ein berufspolitischer Gewinn. Die selbstbewusste gesundheitspolitische Interessensvertretung der Ärztekammer passte den konservativen Kräften in der Berliner Ärzteschaft nicht in das fundamentalistische Weltbild. Das zeigte sich dann bei der Kammerwahl 1998, die völlig unerwartet zur Entmachtung der Fraktion Gesundheit in der Ärztekammer Berlin führte.