1987 – 1989 Die Ärztekammer Berlin wird zum Vorbild einer neuen ärztlichen Gesundheits- und Berufspolitik
Mit der Kammerwahl 1986 gelang uns dann der Durchbruch für eine Neuorientierung der ärztlichen Selbstverwaltung: „Gesundheitspolitik statt Standespolitik“. Die Liste der Fraktion Gesundheit mit integriertem Marburger Bund erhielt bei einer extrem hohen Wahlbeteiligung von 72,4 % der wahlberechtigten Ärztinnen und Ärzte 45 von 90 Delegiertensitzen und so konnte im Januar 1987 Ellis Huber mit einer Mehrheit von 47 zu 42 Stimmen zum Präsidenten gewählt werden. Der „Rebell aus dem Hotzenwald“ begeisterte die Medien und wurde zum Repräsentanten einer Ärzteschaft, die Ernst macht mit der Erfüllung der Berufsordnung: der Arzt dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und der gesamten Bevölkerung. Das kam bei den Berliner Bürgerinnen und Bürgern an. Die Ärztekammer Berlin wurde zur ersten Instanz in allen Gesundheitsfragen und erreichte wachsendes politisches Gewicht. Die Menschen in Berlin verbanden mit der Ärztekammer das gesundheitspolitische Ringen um eine humane und sozial integrierende Medizin. Wir setzten Zeichen mit dem Modellstudiengang, der im Streiksemester 1988/89 von Medizinstudierenden mit Unterstützung der Ärztekammer konzipiert und nach zehn Jahren auch durchgesetzt wurde. Udo Schagen hatte als Vorsitzender des Gemeinsamen Weiterbildungsausschusses daran und auch an der assistentenfreundlichen Neuordnung der gesamten Weiterbildungsgänge wesentlichen Anteil.
Die Fraktion Gesundheit vereint mit dem Marburger Bund fungierte in den Fragen der ärztlichen Aus-, Fort- und Weiterbildung, der Berufsordnung oder der medizinischen Ethik als innovativer Treiber der Standespolitik. Des „Mitteilungsorgans der Ärztekammer Berlin“ machte den Wandel auch sinnlich sichtbar. Das Titelblatt der „Berliner Ärzte“ zeigte den Neuen Geist: statt Pharmawerbung zierte nun eine themenspezifische Grafik das „publizistische Gesicht“ der Ärztekammer Berlin. Dieser Startschuss für eine jahrzehntelange Kooperation mit der Agentur Sehstern überdauerte 25 Jahre. Über 300 Titel entstanden so und jetzt gibt es auch ein Buch, das die Entwicklung dokumentiert: Berliner Ärzte BilDr. von 1988-2013. Die Titelbilder machten Eindruck und regten an, manche Standesfürsten aber auch auf. Ein kolorierter Cartoon von Serré sorgte auf dem Ärztetag 1988 für einen Aufstand der Etablierten. Aber: das Berliner Vorbild machte Schule. Nach und nach verschwand von allen Titelseiten der Kammerblätter in der Bundesrepublik die Pharmawerbung. Die Zeitreihe auf der Homepage von Sehstern zeigt die Entwicklung in ihrer Einbindung zu anderen kulturellen Aufbrüchen in Berlin.
1989 war Berlin Gastgeber des 92. Deutschen Ärztetages. Hauptthemen waren die ärztliche Fortbildung, das Spannungsverhältnis zwischen Datenschutz und Datennutzung in der Forschung sowie die Arbeitsmarktsituation für junge Mediziner . Während der Veranstaltung wurde erstmals die von der Ärztekammer Berlin erarbeitete Ausstellung „Der Wert des Menschen – Medizin in Deutschland 1918 – 1945“ gezeigt, die sich mit der Rolle der Ärzteführer in der Nazi-Zeit beschäftigte. Die außerordentlich erfolgreiche Ausstellung wurde in den Folgejahren in mehreren deutschen Städten präsentiert und ging in einer englischen Fassung auf Tournee durch Nordamerika und Japan. Dort ermutigte sie die japanischen Ärzte, die eigene Geschichte in der Zeit des zweiten Weltkrieges vergleichbar kritisch zu reflektieren.
Der offene Umgang der Ärztekammer Berlin mit der Schuld der Deutschen Ärzteschaft im Nationalsozialismus fand ein überzeugendes und vertrauensstiftendes Echo in der Öffentlichkeit . Die IPPNW begründete in der Folge den Kongress „Medizin und Gewissen“ und in Berlin entstand das „Behandlungszentrum für Folteropfer“. Beides zeigt, wie eine innovative Ärztekammer öffentliche Wirkung entfalten kann. Die Initiative der Ärztekammer Berlin führte auch dazu, dass 1989 mit einer Gedenktafel vor der Philharmonie an die Euthanasiezentrale Tiergarten 4 erinnert wurde. Heute befindet sich dort der vom Deutschen Bundestag beschlossene „Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen »Euthanasie«-Morde“. Der Gedenkort ist am 2.9.2014 eröffnet worden.
Im Vorfeld zum Ärztetag veranstaltete die Ärztekammer Berlin gemeinsam mit dem BKK Landesverband den ersten Deutschen Medizinkongress zur Gesundheitsförderung und der Kammerpräsident wurde von der Gewerkschaft ÖTV eingeladen, auf der Berliner 1. Mai Demonstration zu sprechen. Am 2. Mai begann der Ärztetag. Die übliche Gesellschaftsveranstaltung für die Delegierten wurde im Tempodrom mit dem Auftritt der Drei Tornados und des Kollegen und Kardiologen Georg Ringsgwandel gefeiert. „Der Oberarzt als Punk, verhauter Rock’n ‚Roller und intellektueller Robin Hood“ (Die Zeit), stand für eine neue kulturelle Darbietung ärztlichen Humors, die in zwei öffentlichen Veranstaltungen auch das Berliner Publikum begeisterte und das Image der Ärztekammer unkonventionell und öffentlich glaubwürdig modernisierte. Die Bürgerinnen und Bürger von Berlin nahmen die Ärztekammer als Ausdruck einer Ärzteschaft war, die sich um die gesundheitlichen Belange der Stadt ernsthaft und problemorientiert kümmert.