Der 83. Deutsche Ärztetag kam 1980 nach Berlin und die Kolleginnen und Kollegen der ärztlichen Opposition wollten jetzt nicht mehr demonstrieren. Sie stellten dem Ärztetag den ersten Deutschen Gesundheitstag entgegen und über 12.000 Teilnehmer bildeten einen wirksamen Kontrast zur verkrusteten Standespolitik (>> mehr dazu). Die Idee dazu hatten der Gesundheitsladen Berlin e.V. und Ellis Huber, der dann 1981 Sprecher der Fraktion Gesundheit in der Ärztekammer Berlin und Grüner Gesundheitsstadtrat von Wilmersdorf und 1985 von Kreuzberg wurde. 

Der zweite Gesundheitstag 1981 in Hamburg versammelte über 18.000 Teilnehmer. Die Veranstaltungen reflektierten die Praxis einer unabhängigen ärztlichen Arbeit in alternativen Projekten, von sozialen Gesundheitszentren über die Umgestaltung der Psychiatrie bis hin zu den medizinischen Studienreformen oder den neuen Instituten für Public Health und den Integrierten Versorgungsnetzen. Die Veranstaltung wurde sogar im Bundeskabinett erörtert. Die Gesundheitsbewegung dokumentierte deutlich, dass Ärztinnen und Ärzte gemeinsam mit den anderen Gesundheitsberufen auch eine bessere Versorgung für die Menschen in Deutschland erreichen können.  

Wir von der Fraktion Gesundheit kämpften als Ärztinnen und Ärzte für eine bessere Welt und eine Medizin, die den Menschen dient und nicht dem Kapital, die humanistische Ideale vertritt und sozial verantwortlich handelt. Linke Spontis, Reform-Professoren, Gewerkschafter aus dem Marburger Bund und der ÖTV (seit 2001 ver.di), praktizierende Humanisten, IPPNW-ler, also Ärzte gegen den Atomkrieg, Antiimperialisten, revolutionsbewegte Entwicklungshelfer, Naturheilärzte und Homöopathen ebenso wie Psychosomatiker, Sozialmediziner oder Familienärzte verbündeten sich zu einer ärztlichen Neuorientierung: wir verstehen uns als Ärzte in sozialer Verantwortung und setzen in Theorie und Praxis eine Integrierte Medizin und eine Integrierte Versorgung durch. Die Gesundheitszentren Gropiusstadt  und Heerstraße Nord waren damals konkrete Umsetzungsprojekte einer Integrierten Versorgung die heute unter den Stichworten MVZ und ambulante Versorgungsnetze immer noch Modellcharakter besitzen. 

„Ärzte in sozialer Verantwortung“ entsprach auch dem Bekenntnis der Ärztinnen und Ärzte im Neuen Forum und der IPPNW-Sektion der DDR nach der Wende. Die Berliner Anästhesistin Barbara Hövener gründete 1982 mit Ulrich Gottstein, Horst-Eberhard Richter und anderen KollegInnen die heutige IPPNW – Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Die Gesundheitstage 1980 in Berlin, 1981 in Hamburg und 1984 in Bremen präsentierten eine Gesundheitsbewegung, die das Denken und Handeln im Gesundheitswesen tiefgreifend veränderte. Führend dabei war der Berliner Allgemeinmediziner und Psychosomatiker Helmut Milz, der damals am Urban Krankenhaus und in den Theodor Wenzel Kliniken seine Facharzteiterbildung absolvierte. Der Berliner KV-Vorsitzende Roderich Nehls nannte ihn mal einen „ärztlichen Dinosaurier“, der für seine Patienten noch Zeit habe und dabei Leib und Seele beachte. Von 1985 bis 1987 arbeitete Helmut Milz bei der WHO in Kopenhagen mit Ilona Kickbusch an einer salutogenetischen Neugestaltung der Gesundheitssysteme. Sie entwarfen die Ottawa Charta von 1986, die international und lokal die Gesundheitspolitik neu ausrichtete. Das von Milz beförderte Projekt „Health-promoting hospitals“ verbindet heute rund 500 Krankenhäuser und Universitätskliniken in Europa zu einem Netzwerk, das neue Wege der Krankenhausversorgung erschließt. Ilona Kickbusch ist heute eine weltweit gefragte Beraterin für internationale Organisationen und Regierungen.